Skip to main content
SearchLoginLogin or Signup

Reicht der Elefant dem Drachen das Wasser?

Eine Fallanalyse des Einflusses von Machtasymmetrie auf den Wasserkonflikt zwischen China und Indien am Brahmaputra zwischen 2013 und 2019.

Published onJan 01, 2021
Reicht der Elefant dem Drachen das Wasser?
·

Abstract

China ist ein durstiges Land, das dringend Wasser benötigt – und zwar viel davon. Um seinen Wasser- und Energiebedarf zu decken, greift es sukzessive durch Dämme und Umleitungen in tibetische Flüsse ein. Eine Reihe von Externalitäten heizen dabei Konflikte mit anderen Flussanrainerstaaten an. Die zunehmende Wasserknappheit in Asien – sowie in anderen Teilen der Welt – erfordert ein tieferes Verständnis für grenzüberschreitende Wasserkonflikte. Auf der Grundlage des Analyserahmens der Hydro-Hegemonie untersucht dieser Artikel, wie Machtgefüge grenzüberschreitende Wasserkonflikte prägen, die noch keine Anzeichen eines Krieges vorweisen. Dazu wird als Fallstudie das hydro-hegemoniale Verhalten Chinas gegenüber Indien am Brahmaputra betrachtet. Der Artikel liefert zwei wichtige Erkenntnisse, die auf Aspekten des Wasserdatenaustauschs und des Bilateralismus beruhen. Erstens nutzt China seine überlegene Machtstellung gegenüber Indien für eine Strategie der dominanten Kontrolle über die Wasserressource. Zweitens tragen das Fehlen eines soliden, institutionellen Datenaustauschs und mangelnde Transparenz chinesischer Staudamm-Aktivitäten zu einem sich intensivierenden Konflikt bei.

Schlagwörter: Hydro-Hegemonie; Grenzüberschreitender Wasserkonflikt; Machteinsatz; China; Bilateralismus

1. Einleitung

„It is the oppressor who defines the nature of the struggle“ (Mandela, 1994)

China und Indien erheben traditionell Anspruch auf den Status eines regionalen Hegemons – China in Ost-, Zentral- und Südostasien und Indien in Südasien. Zu ihrem Einfluss und ihrer Macht trägt auch die Rolle bei, die sie in vielen Flusseinzugsgebieten Asiens innehaben. China kann als „upstream superpower“ (Nickum 2008: 227) bezeichnet werden, da mehrere große, grenzüberschreitende Flüsse, darunter der Brahmaputra (auf Tibetisch Yarlung Ysangpo), in der tibetischen Hochebene entspringen. Die Wasserversorgung beider Länder birgt vor diesem Hintergrund ein enormes Konfliktpotential. Im Kontext des Brahmaputra-Beckens beispielsweise werden die Beziehungen zwischen Neu-Delhi und Beijing trotz einiger Bereiche der formalen Kooperation als konfliktbehaftet wahrgenommen, ohne bisher militärisch eskaliert zu sein. Im Mittelpunkt steht dabei – wie in den meisten internationalen Wasserkonflikten – die Frage der gerechten Verteilung der Nutzung grenzüberschreitender Gewässer (Wolf 1999: 3).

Ziel dieser Arbeit ist es, hinsichtlich dieser Frage die akteursorientierte Verhaltensdynamik zwischen Konflikt und Kooperation (als zu erklärende, abhängige Variable) im Brahmaputra-Becken bei einem asymmetrischen Machtverhältnis (als unabhängige Variable) zwischen den beiden Anrainern China und Indien zu betrachten. Solche Überlegungen sind wesentlich für die Forschung der Internationalen Beziehungen, da Machtverhältnisse innerhalb zwischenstaatlicher Interaktionen einflussreich sind und aufzeigen können, wie Kosten und Nutzen, als Ergebnis solcher Interaktionen, verteilt sind (Williams 2019: 83). Es ist daher von Nutzen zu untersuchen, welche Rolle Machtasymmetrien in zwischenstaatlichen Wasserkonflikten spielen und inwiefern sie entweder zur Stabilität oder Konfliktintensivierung beitragen.

Die Machtdimension von Wasserkonflikten wurde bereits vielfach erforscht. Die vorliegende Arbeit untersucht jedoch erstmals anhand einer qualitativen Fallanalyse den Einfluss von Macht im Wasserkonflikt zwischen China und Indien entlang des Brahmaputras zwischen 2013 und 2019 auf Basis des Konzepts der „Hydro-Hegemonie“ (Zeitoun und Warner 2006). Es wird aufgezeigt, wie sich Chinas Macht im politischen Verhalten am Brahmaputra manifestiert. Die gewonnenen Forschungserkenntnisse sind von besonderem Interesse für betroffene Akteur*innen, Analyst*innen und Politikberatungen, da sie auf das Risiko hinweisen, dass die chinesische Hydro-Hegemonie auch zukünftig die betroffenen Regionen in Indien bedroht. Aus dem dargelegten Forschungsinteresse leitet sich folgende Fragestellung ab: Wie hat sich die Machtasymmetrie zwischen China und Indien auf das Verhalten des Hydro-Hegemons und auf die daraus resultierende Konfliktintensität am Brahmaputra zwischen 2013 und 2019 ausgewirkt?

Im folgenden Theorieteil wird die konzeptionelle Grundlage von Hydro-Hegemonie erläutert. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Methodik dieser Arbeit. Im vierten Abschnitt wird der Analyserahmen angewandt, um das hydro-hegemoniale Verhalten der chinesischen Regierung am Brahmaputra zwischen 2013 und 2019 zu untersuchen. Im letzten Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und darauf aufbauend weitere Forschungspfade empfohlen.

2. Hydro-Hegemonie

Auf der Grundlage früherer Beiträge zum Zusammenhang von Machtasymmetrie und zwischenstaatlichen Konflikten haben Zeitoun und Warner (2006) einen analytischen Rahmen entwickelt, der das Konzept der Hydro-Hegemonie definiert und dazu dient, dieses in seiner Komplexität zu erfassen. Er soll dazu dienen, grenzüberschreitende Wasserkonflikte mit einem Fokus auf Machtasymmetrien systematisch zu analysieren und zu erklären, wie die Kontrolle über Wasserressourcen nicht durch Wasserkriege oder institutionalisierte Kooperation, sondern durch alternative Strategien der Machtausübung erreicht wird. Das Konzept definiert einen Hydro-Hegemonen als den Anrainerstaat eines Flusses, der die Kontrolle hat, Spielregeln, die Art der Interaktion zwischen den Anrainern und das Ausmaß, in dem die Vorteile der Flüsse mit schwächeren Partnern geteilt werden, festzulegen (Zeitoun und Warner 2006: 438). Der Analyserahmen wird im Folgenden in groben Zügen vorgestellt.

2.1 Machtasymmetrie - Säulen und Ressourcen der Hydro-Hegemonie

Die Konfiguration eines hegemonialen Verhältnisses wird durch die relative Macht des Hydro-Hegemonen gegenüber anderen Anrainern konstituiert. Es ist diese relative Macht, die die Übernahme von Kontrolle über die Wasserressource gewährleistet. Max Weber beschreibt Macht als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1980: 28). In internationalen Beziehungen drückt sie sich in der Fähigkeit eines Staates aus, die Agenda und die Form der Interaktion gegenüber anderen Staaten zu bestimmen. Laut Lukes (2005: 15) können folgende drei Dimensionen von Macht unterschieden werden: strukturelle Macht, auch „hard power“ genannt; Macht über politische Agendasetzung, also die Fähigkeit „Spielregeln“ festzulegen; und Macht über Ideen, die dazu befähigt, Diskurse und Narrative zu bestimmen.

Strukturelle Macht ist nach Lukes die offensichtlichste Form von Macht. Zu ihr zählen im Kontext von Hydro-Hegemonie, neben militärischer und ökonomischer Überlegenheit, auch eine geographisch vorteilhafte Flussposition sowie das Potenzial, den Nutzen der Wasserressource voll auszuschöpfen (Zeitoun und Warner 2006: 436). Aus dieser Dimension ergibt sich die Möglichkeit des Staates, mit materiellen Mitteln – zum Beispiel durch die Mobilisierung finanzieller Mittel – Tatsachen zu schaffen. Die zweite Form der Macht bezieht sich auf das Setzen der politischen Tagesordnung, das Diktieren der Diskussion und die Fähigkeit durch Autorität und Legitimität Zielpunkte zu verschieben (Bachrach und Baratz 1962; Lukes 2005). Sie vergrößert sich laut Zeitoun und Warner (2006: 449) umso stärker, je reichhaltiger sich die Basis an internationalen Verbündeten gestaltet. Die dritte Dimension, die Macht über Ideen, wird durch die Sprache ausgeübt, die Akteur*innen in formellen Verhandlungen, in Nachrichten und Medien und in der Öffentlichkeitsarbeit verwenden. Dadurch können Themen in einer Weise präsentiert werden, die leicht akzeptierbar oder schwer anfechtbar ist (Zeitoun et a. 2011: 163). Die letzten beiden Dimensionen gelten als soft power und treten häufig kombiniert auf.

2.2 Form der Hegemonie - Kooperation oder Dominanz

Die Untersuchung von Zeitoun und Warner (2006: 437) zeigt, dass sich zwei Formen von Hydro-Hegemonen unterscheiden lassen, wie sie ihrer Kontrolle über die Wasserressource Ausdruck verleihen. Demnach können Hydro-Hegemonen entweder eine positive, integrative Führung ausüben, um kooperative Ergebnisse für alle zu gewährleisten („leadership buttressed by authority") oder negatives, dominantes Verhalten an den Tag legen, das zu Konflikten führt („leadership buttressed by coercion“). Die meisten Konfigurationen von Hydro-Hegemonie „fall somewhere between the poles of enlightened leadership and oppressive domination“ (Zeitoun und Warner 2006: 439).

2.3 Strategien und Taktiken

Zeitouns und Warners Konzept geht davon aus, dass Hydro-Hegemonen zur Kontrolle über Wasserressourcen auf Strategien wie resource capture, integration oder containment zurückgreifen (Zeitoun und Warner 2006: 444). Welche Strategie angewandt wird, variiert je nach politischem Kontext (Zeitoun und Warner 2006: 555). Im Gegensatz zu der unilateralen Strategie des resource capture erfordern die Strategien des containment und der integration in der Regel ein Engagement mit anderen Anrainern (vgl. Abb. 1). Eine Strategie des containment kann darauf abzielen, die Konkurrenten entweder einzubinden oder sie in einer möglichst asymmetrischen Position einzudämmen. Zur Ausführung dieser Strategien wendet der Hegemon Taktiken bzw. „compliance-producing mechanisms“ (Zeitoun und Warner 2006: 450) zur Herstellung von Konformität an. Dazu zählen coercive (Druckmittel), utilitarian (Anreize), normative (Verträge) und hegemonic (Konstruktion von Wissen) compliance-producing mechanisms. Sie werden durch die Ausnutzung bestehender Machtasymmetrien innerhalb eines schwachen internationalen Kontexts ermöglicht (Zeitoun und Warner 2006: 444).

2.4 Folgen der Interaktion und Intensität des Konflikts

Die jeweils angewandte Strategie stellt die Beziehung zwischen den Anrainerstaaten und dem Grad der Konfliktintensität in dem Flusseinzugsgebiet her. Das Verhalten von Hydro-Hegemonen bestimmt demnach die Form der Interaktion der Anrainer, das Ergebnis dieser Interaktion (in Bezug auf die Wasserverteilung) und die Bandbreite des Konflikts, der in einem Flussbecken besteht, wie in Abbildung 1 mithilfe der Water Event Intensity Scale (Yoffe et al. 2001: 1112) dargestellt wird.

Abb. 1: Der Analyserahmen von Hydro-Hegemonie (Zeitoun und Warner 2006)

3. Methode

Aufbauend auf dem skizzierten konzeptionellen Hintergrund wendet die folgende Untersuchung den akteursorientierten Analyserahmen auf ein ausgewähltes Fallbeispiel an. Hierbei wird untersucht wie sich Chinas Machtasymmetrie mit Indien in seiner Wasserpolitik am Brahmaputra zwischen 2013 und 2019 ausgedrückt und auf die Konfliktintensität ausgewirkt hat. Die folgenden Abschnitte enthalten Schlüsselinformationen über Chinas Rolle als Hydro-Hegemon, die in der wissenschaftlichen Literatur noch nicht ausreichend erforscht ist. Der Ansatz ist in erster Linie qualitativ und stützt sich auf eine umfassende Literaturarbeit. Die Analyse basiert auf zwei Typen von Quellen über das Fallbeispiel: (1) Primärquellen wie Vereinbarungen, Erklärungen, Karten und Regierungsdokumente; und (2) Sekundärquellen wie Kommentare, Online-Zeitungen sowie die wissenschaftliche Literatur zum Thema.

Das Jahr 2013 bietet einen sinnvollen Ansatzpunkt für die vorliegende Konfliktanalyse, aufgrund entscheidender Geschehnisse, die sich in dem Jahr vollzogen haben, wie im folgenden Abschnitt erläutert wird. Darüber hinaus wird der Zeitraum als Umbruch Chinas zurückhaltender Außenpolitik hin zu einem zunehmend selbstbewussten, durchsetzungswilligen Ansatz gewertet. Charakteristisch dafür ist die Lancierung Chinas „Belt and Road Initiative“ (BRI)1 im besagten Jahr, durch die sein globaler Einfluss erheblich ausgebaut wurde (Dave und Kobayashi 2018: 278).

4. Wasserkonflikt Indiens und Chinas am Brahmaputra von 2013 - 2019

Das Brahmaputra-Becken ist eines der bedeutendsten Flusseinzugsgebiete Asiens. Das Becken ist reich an biologischer Vielfalt, mit einem riesigen Potenzial für die Entwicklung von Bewässerungstechnologien, Lebensgrundlagen, Erzeugung von Wasserkraft und Schifffahrt (Barua, Vij und Zulfiqur Rahman 2017: 2). Der Yarlung Ysangpo entspringt den oberen Ebenen des tibetischen Plateaus und fließt von dort nach Indien. Als Konsequenz steht das Land der Mitte im Zentrum der Wassersicherheit Indiens. Aufgrund seiner kategorischen Haltung bezüglich der eigenen Souveränität und Autonomie hat die chinesische Regierung kaum institutionalisierte Mechanismen für die gemeinsame Bewirtschaftung von Flüssen mit seinen Nachbarn (Liu 2015: 7). Angesichts politischer Sensibilitäten historischer Art, der chinesisch-indischen Grenzstreitigkeiten sowie der indischen Opposition gegen Chinas BRI gilt das Verhältnis der beiden Anrainerstaaten seit vielen Jahren als belastet (Yuan 2019: 1).

4.1 Machtasymmetrie zwischen China und Indien seit 2013

Wie bereits angedeutet, wird Chinas Hydro-Hegemonie gegenüber Indien durch Beijings Kontrolle über die wasserreichen Gebiete Tibets ermöglicht. Chinas geografische Position ist von höchst strategischer Bedeutung für das Land, da es durch diese gegenüber dem Anrainer Indien einen enormen Vorteil bei der Kontrolle über die Wasserressource genießt. Wie Zeitoun und Warner (2006: 436) betonen, stellt die flussaufwärts gelegene Uferposition jedoch nicht den entscheidenden Faktor für die Charakterisierung eines Hydro-Hegemons dar. Es ist die relativ vorherrschende Rolle Chinas in den drei oben genannten Dimensionen von Macht, die die Volksrepublik gegenüber Indien seit 2013 zu einem erstarkenden Hydro-Hegemon werden lässt.

Strukturelle Macht

Mit Blick auf die erste Dimension, strukturelle Macht, besteht seit 2013 eine erhebliche Asymmetrie zwischen Beijing und Neu-Delhi, in Bezug auf die Bevölkerungszahl, die wirtschaftliche Entwicklung und die militärische Stärke, wie in Abbildung 2 illustriert. Indien ist darüber hinaus wirtschaftlich, asymmetrisch vom Land der Mitte abhängig. China ist Indiens drittgrößtes Exportzielland, wobei Indien gegenüber China nur Rang sieben einnimmt (India Briefing 2019). Indiens Handelsbilanzdefizit gegenüber China stieg im Analysezeitraum von ca. USD 31 Milliarden in 2013 auf rund USD 53 Milliarden in 2019 (Indian Ministry of Commerce and Industry 2020). Diese Handelsbilanz untermauert Beijings überlegene Verhandlungsposition wesentlich.

Abb. 2 Power Distribution among China and India as of 2018 (Eigendarstellung)

Die Kontrolle über die Erhebung und das Teilen von Wasserdaten stellt einen weiteren Machtfaktor Chinas dar. Wasserdaten werden in der Regel innerhalb der Grenzen des Territoriums eines Landes gesammelt. Dies macht sie zu einem Instrument des Machtspiels, wenn es darum geht, Informationen ganz oder teilweise zu teilen oder sie gar nicht für Anrainer zugänglich zu machen (Barua et al. 2017: 5). Große (Wasser-) Infrastrukturprojekte in benachbarten Ländern sind ebenfalls ein Ausdruck von struktureller Macht, was die BRI seit 2013 zu einer sichtbaren Demonstration des zunehmenden chinesischen Einflusses in Südasien macht (Yuan 2019: 10) und dem Land der Mitte hilft, die zweite Dimension von Macht auszuüben.

Macht über politische Agendasetzung und internationale Unterstützung

Indien ist traditionell der regionale Hegemon Südasiens, wobei China diesen Status seit 2013 zunehmend streitig macht. Nicht zuletzt durch die BRI dehnt sich der chinesische Einfluss auf das aus, was Indien als seinen geopolitischen Hinterhof reklamiert (Yuan 2019: 2). Die Entwicklung chinesischer Wasserkraftprojekte in Südasien und deren politische Implikationen stellen eine sichtbare Demonstration dieses Einflusses dar. Infolge der massiven Infrastrukturprojekte in der Region haben sich die Beziehungen zwischen Beijing und dem gesamten süd- und südostasiatischen Raum seit 2013 neu orientiert und deuten auf eine neue, chinazentrische sozioökonomische Ordnung hin, in der die Volksrepublik die Spielregeln festlegt (Williams 2019: 90).

Indien hat seit ihrer Lancierung eine ablehnende Haltung gegenüber der BRI. Bezeichnenderweise weigerte sich die indische Regierung, an den ersten beiden BRI-Foren im Mai 2017 und 2019 teilzunehmen. Die Regierung begründete dies wie folgt: „[C]onnectivity initiatives must be based on universally recognized international norms, good governance, rule of law, openness, transparency and equality” (Ministry of External Affairs India 2017). Andere südasiatische Staaten, wie Afghanistan, Bangladesch, Sri Lanka, Myanmar, Nepal und Pakistan, haben seit 2013 diversen BRI-Projekten in ihren Ländern zugestimmt (Ghosal Singh 2019). Dieser Wettbewerb zwischen Indien und China zeigt sich exemplarisch im Ringen um Einfluss an Orten wie Nepal (Williams 2019: 89). Indien betrachtet Nepal als einen Puffer zwischen sich und China und hat lange von engen Handels- und Wirtschaftsaktivitäten profitiert. Im Jahr 2017 unterzeichnete Nepal eine Absichtserklärung (MoU) für die Zusammenarbeit im Rahmen der BRI (MoFA Nepal 2017) sowie für die Entwicklung des Budhi-Gandaki-Wasserkraftprojekts, für das die chinesische Gezhouba-Gruppe verantwortlich sein sollte (Spross 2018).

Indien und Nepal haben eine Geschichte von Disputen über grenzüberschreitendes Wasser, wobei viele gemeinsame Vereinbarungen über die hydraulische Infrastruktur von Nepal als ungerecht angesehen werden (Mirumachi 2015: 61). Das Land der Mitte stellt daher einen alternativen Partner für das grenzüberschreitende Wassermanagement in Nepal dar (Murton et al. 2016). Dies hat auch Auswirkungen auf die Wasserströme flussabwärts nach Indien. Das Beispiel Nepals ist exemplarisch dafür, wie die chinesische Regierung durch ihren wachsenden Einfluss seit 2013 stetig an Verhandlungsmacht gewinnt: Beijing baut durch sein internationales Verhalten, wie im Kontext der BRI, seine Macht aus, um Spielregeln in der Region festlegen zu können. Es wird deutlich, wie Chinas Interaktionen im Kontext der BRI zunehmend die grenzüberschreitende WasserGovernance in Südasien steuert. Dieser Trend färbt gleichzeitig auf die dritte Machtdimension der Volksrepublik ab.

Macht über Ideen

Durch die BRI hat sich die chinesische Regierung seit 2013 bemüht, ihre Außenpolitik um das Narrativ einer ökonomisch-integrativen Ausrichtung zu gestalten. Die BRI wird von Beijing als Initiative zur offenen und inklusiven regionalen Entwicklung angepriesen (MoFA People´s Republic of China 2019). Infolgedessen scheint Beijing die Wasserbeziehungen der südasiatischen Region neu definieren zu wollen, entlang eines Narrativs der wirtschaftlichen Integration und der inklusiven Entwicklung von Infrastruktur, wobei es sich selbst dabei in dessen Zentrum profiliert (Williams 2019: 89). Williams (2019: 88) betont, dass Indien zum Eigenschutz seit 2013 versucht, diesem wirtschaftlichen Narrativ ein solches gegenüberzustellen, das Chinas geopolitische Motive in der Region in den Vordergrund stellt und Sicherheitsaspekte unterstreicht. So erklärte Neu-Delhi bezüglich des ökonomischen Korridors zwischen China und Pakistan (CPEC): „no country can accept a project that ignores its core concerns on sovereignty and territorial integrity” (Ministry of External Affairs India 2017). Indiens propagiertes Narrativ scheint sich zwischen 2013 und 2019 in der Region nicht gegenüber Chinas durchgesetzt zu haben. Obwohl Chinas hegemoniales Narrativ den Diskurs in Indien selbst nicht dominieren konnte, hat es in anderen südasiatischen Ländern zur Wissenskonstruktion beigetragen, was dem Land der Mitte in dieser Machtdimension in der Region einen leichten Vorteil gegenüber Indien eingebracht hat. Diverse westliche Länder, allen voran die USA, haben sich Indiens Bedenken angeschlossen. Vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Machtasymmetrie befasst sich der nächste Abschnitt mit Chinas Aktivitäten in Wasserangelegenheiten gegenüber Indien am Brahmaputra zwischen 2013 und 2019.

4.2 Chinas Verhalten als Hydro-Hegemon am Brahmaputra

Obwohl Beijing und Neu-Delhi durch ihren Einfluss das Potenzial haben, multilaterale Zusammenarbeit in Asien zu initiieren, verfolgen sie beim Thema Wasserkooperation grenzüberschreitender Flüsse in erster Linie einen bilateralen Ansatz (Liu 2015: 359). So hat keines der beiden Länder die UN-Gewässer-Konvention ratifiziert, die seit 2014 die Nutzung transnationaler Flüsse regeln soll. Es hat seit 2013 jedoch zwei MoUs zwischen Indien und China bezüglich des Brahmaputras gegeben. Wie im The Hague Report (2017: 27) erläutert, betrifft das erste MoU Beijings Bereitstellung von hydrologischen Informationen über den Brahmaputra während der Hochwassersaison (zwischen Mai und Oktober), während sich das zweite mit der Stärkung der Zusammenarbeit befasst.

Die Unterzeichnung des ersten MoUs geht auf das Jahr 2002 zurück und wurde in den Jahren 2008, 2013 und 2018 verlängert. Es kann als Reaktion auf ein Geschehen im Juni 2000 betrachtet werden, als in Tibet ein Damm brach und im indischen Arunachal Pradesh stromabwärts eine Sturzflut verursachte. Die Überschwemmungen führten zu 30 Todesopfern und verursachten erhebliche Schäden an indischer Infrastruktur (Climate Diplomacy 2018). Aufgrund des fehlenden hydrologischen Datenaustauschs zwischen den beiden Ländern war sich Indien der herannahenden Flut nicht bewusst. Indien nutzt seitdem die von China erhaltenen Informationen bei der Formulierung von Hochwasservorhersagen und zahlt jährlich etwa 850.000 chinesische Yuan (etwa 120.000 USD), um die Kosten für die Bereitstellung dieser Informationen zu decken (Central Water Commission and Bureau of Hydrology and Water Resources 2014). Dies steht im Gegensatz zu Chinas Abkommen mit Bangladesch, das die Daten auf Grundlage einer Absichtserklärung über die Bereitstellung von hydrologischen Informationen von 2008 kostenlos erhält (Den Hague Institute for Global Justice 2017: 75; Siddique 2015). Dies deutet darauf hin, dass Chinas hydro-hegemoniale Strategie von dem jeweiligen Land abhängt, mit dem es interagiert, was ein Fall von Streitigkeiten ist und den Spielraum von Machteinsatz zwischen Flussanrainern verdeutlicht.

Zusätzlich zum MoU bezüglich hydrologischer Daten unterzeichneten Indien und China 2013 ein MoU über die Stärkung der Zusammenarbeit an grenzüberschreitenden Flüssen. Das MoU versucht dies durch einen bestehenden Mechanismus auf Expertenebene zwischen den beiden Ländern und durch gemeinsames Notfallmanagement zu erreichen (Ministry of External Affairs India 2013). Die indische Regierung hat darauf aufbauend versucht weitere Mechanismen zur Transparenzschaffung hinsichtlich der chinesischen Aktivitäten am Brahmaputra zu etablieren – jedoch ohne Erfolg. Im Jahr 2013 schlug der indische Premierminister, Manmohan Singh, während eines bilateralen Treffens auf dem BRICS-Gipfel dem chinesischen Ministerpräsidenten die Einrichtung eines gemeinsamen Mechanismus zur Bewertung der Art der Bautätigkeit im Autonomen Gebiet Tibet, in Form einer Wasserkommission, eines zwischenstaatlichen Dialogs oder eines Vertrags zur Behandlung von Wasserfragen zwischen den beiden Ländern vor (PTI 2013). Laut Amano (2015) hat Indien China auch um die Bereitstellung von Daten über die Trockenzeit gebeten. Keiner dieser Vorschläge wurde von China angenommen. Stattdessen hat Beijing seine Kontrolle über die Wasserressourcen für enorme Investitionen in Staudämme am Yarlung Tsangpo genutzt. Um seinen Wasser- und Energiebedarf in den dicht besiedelten Ebenen des Nordens zu decken, hat Beijing seit 2013 sukzessive durch den Bau von Dämmen und Umleitungen in die tibetischen Flüsse im Süden eingegriffen (Den Hague Institute for Global Justice 2017: 33). Die Volksrepublik braucht dringend Wasser: Wie Chinas Vizeminister für Wasserressourcen 2011 erklärte, steht das Land vor einer „increasingly grim“ Wasserknappheit (Moore 2013).

Ein weiterer Anreiz für China, in Wasserkraftwerke zu investieren und damit zunehmend grenzüberschreitende Flüsse aufzustauen, ergibt sich aus seinen Klimaschutzverpflichtungen (Den Hague Institute for Global Justice 2017: 33). Gemäß des 12. und 13. Fünfjahresplans Chinas wird die Wasserkraft als Kernstück des chinesischen Plans zum Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert (Gosens et al. 2017: 142). So stellte China 2014 den Zangmu-Staudamm am Oberlauf des Brahmaputra fertig. Obwohl die indischen Nachfragen über chinesische Staudammbauaktivitäten am Brahmaputra auf die Jahrtausendwende zurückreichen, da Indiens Fischereiindustrie und sein Ökosystem von der chinesischen Entwicklung am Fluss betroffen sind, kündigte Beijing den Bau des Zangmu-Staudamms erst 2010 an (Den Hague Institute for Global Justice 2017: 30). China sagte zwar zu, dass das Wasser weiterhin flussabwärts fließen würde, jedoch wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung des Zangmu-Projekts Indien nicht zugänglich gemacht (Wang 2010). Indien bemängelte wiederholt, dass unklar bleibe, welche Folgen der Staudamm mit sich bringen könnte. Das größte Wasserkraftwerk Tibets, Zam, ist seit 2015 vollständig in Betrieb (Xinhuanet 2015). Seitdem wurde der Bau mindestens drei weiterer Dämme in Da Gu, Jiacha und Jie Xu, entlang des Brahmaputra, in Angriff genommen, wie in Abbildung 3 ersichtlich. China hat bis 2019 jedoch keine offizielle Mitteilung über den Bau dieser Dämme veröffentlicht (Palmo 2019).

Abb. 3 Brahmaputra River in Tibet and hydropower dams (Tibet Policy Institute 2019)

Die Volksrepublik hat darüber hinaus massive Wasserumleitungsprojekte wie das Süd-Nord-Wassertransferprojekt (SNWTP) in Angriff genommen. Das SNWTP hat zum Ziel, jährlich etwa 45 Milliarden Kubikmeter Wasser aus Zentral- und Südwestchina zu transferieren, um den Durchfluss des Huang He zu erhöhen (International Rivers 2013). Das Projekt ist umstritten, da es den Bau eines Staudamms an der Großen Biegung von Yarlung Ysangpo umfasst, wo der Fluss in die assamesische Ebene Indiens fließt, was die Umleitung von enormen Wassermassen vom Yarlung Ysangpo zum Gelben Fluss bedeuten würde. Die Unsicherheit und der Informationsmangel über die Baupläne dieser Projekte, verbunden mit Überschwemmungsereignissen in Indien und der Sensibilität zwischen den beiden Nationen aufgrund von Grenzstreitigkeiten, haben zwischen 2013 und 2019 zu Misstrauen und Besorgnis im flussabwärts gelegenen Indien geführt. Laut Chellaney (2017) hat sich China zudem in 2017, während der Doklamkrise2, geweigert, hochwasserbezogene hydrologische Daten an Indien weiterzugeben. Obwohl der Austausch von hydrologischen Daten 2018 wieder aufgenommen wurde, demonstrierte die Doklam-Konfrontation, wie China Wasser als politisches Druckmittel einsetzen kann (Climate Diplomacy 2018).

4.2.1 China als dominanter Hydro-Hegemon

China hat bilaterale MoUs mit Indien über Aspekte der Nutzung des Brahmaputra unterzeichnet, was als ein Zeichen für positive hegemoniale Führung gewertet werden kann. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Großmächten konzentriert sich auf den technischen Datenaustausch und auf Expertentreffen. Allerdings teilt China hydrologische Daten über den Brahmaputra nur während der Hochwassersaison mit Indien. Der Datenaustausch findet nicht das ganze Jahr über statt, insbesondere nicht während der trockenen Monate. Das MoU von 2013 enthält laut Liu (2015: 364) keinen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Datenaustausch. Obwohl seit 2013 ein Mechanismus auf Expertenebene zwischen Indien und China eingerichtet wurde, um grenzüberschreitende Flussprobleme zu behandeln, ist immer noch unklar, wie er funktioniert oder welche Fortschritte erzielt wurden (Liu 2015: 362).

Insgesamt zeigt die Bilanz eine negative Form des hegemonialen Verhaltens Chinas. So scheint die Volkrepublik sich in Bezug auf die gemeinsamen Wasserressourcen auf eine Politik der absoluten Souveränität besonnen zu haben – auf Kosten einer Politik der Integrität des flussabwärtsgelegenen Indiens. Chellaney (2011) macht darauf aufmerksam, dass das Land der Mitte in seiner Geschichte mehr Staudämme an seinen Flüssen gebaut hat als der Rest der Welt zusammengenommen und dennoch kaum institutionelle Mechanismen über die gemeinsame Nutzung von Wasser mit seinen Nachbarn eingerichtet hat. Wie bereits erwähnt, hat Beijing die UN-Gewässer-Konvention nicht ratifiziert, die einen Rahmen für die multilaterale Zusammenarbeit im Wasserbereich bietet. Artikel 11 dieser UN-Konvention erwähnt die Notwendigkeit, dass Staaten Informationen über die Nutzung internationaler Wasserläufe austauschen; Artikel 21 und 23 gehen auf Verschmutzung, Verhütung und Schutz der Meeresumwelt ein (UN 1997). Beijing ist der Ansicht, dass die Konvention die Interessen der flussaufwärts gelegenen Staaten nicht angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus befasst sich nur ein Artikel im Wassergesetz der Volkrepublik China mit internationalem Wasser (People's Republic of China 2002), was als Hinweis auf die geringe Relevanz, die das Land der Mitte dem internationalen Verlauf seiner Flüsse beimisst, gewertet werden kann. Der Gesamtumfang der Integration Indiens ins Wassermanagement hält sich somit in Grenzen. Im folgenden Teil wird erläutert, wie Chinas dominantes hydro-hegemoniales Verhalten unter Einsatz von Strategien und Taktiken bewertet werden kann.

4.2.2 Chinas Strategien und Taktiken als Hydro-Hegemon

Die vorliegende Analyse lässt darauf schließen, dass China in seinem bilateralen Engagement mit Indien zwischen 2013 und 2019 hauptsächlich eine dominante Strategie des resource capture und des containment, anstelle von integration angewandt hat, um seine Kontrolle über die Wasserressource auszuüben. Im Rahmen der resource capture wandte China Taktiken eines aktiven Unilateralismus an und trieb in Abwesenheit formaler Absprachen Projekte voran, die Indien als Flussanrainer beeinflussen. China hat seit 2013, als dominanter Hydro-Hegemon, unilateral Wasserumleitungsprojekte und den Bau von Staudämmen und Flussverbindungen geplant und umgesetzt.

Ein Ausdruck, der allgemein den Aufstieg des Landes der Mitte und das entsprechende internationale Verhalten seit 2013 erfasst, ist der der „non-confrontational assertiveness“ (Mingjiang 2012). Tatsächlich waren die versteckten, non-konfrontativen und zugleich auf Zwang beruhenden Wege, durch die chinesische Ziele im besagten Wasserkonflikt sichergestellt wurden, zentral in der vorliegenden Analyse. Sie zeigten sich sowohl in Chinas alleingängiger Wassernutzung, sprich der Unterlassung einer gemeinsamen Nutzung hydrologischer Daten und dem Bau von Dämmen, als auch in seiner unverbindlichen Haltung gegenüber Indien, reflektiert in der Abneigung, ein Abkommen zu schließen. Durch die Verweigerung der Weitergabe von Bauinformationen und Daten, die nicht zuletzt für den Hochwasserschutz und die Planung während der Monsunzeit in Indien von entscheidender Bedeutung sind, zeigte die chinesische Regierung während des Doklam-Konflikts, dass sie nicht abgeneigt ist, Wasser als Druckmittel und damit als politische Waffe einzusetzen, um seinen flussabwärts gelegenen Nachbarn zu kontrollieren und dessen politisches Handeln zu erzwingen. Der mangelnde Austausch hydrologischer Daten mit Indien manifestierte sich in durch Überschwemmungen verursachten menschlichen Opfern und in schweren Schäden an indischer Infrastruktur. Dieses Verhalten lässt sich in Chinas außenpolitischen Ansatz einordnen, seinen freundlichen Aufstieg zu beteuern und sich zugleich bei Grenzansprüchen aggressiv zu zeigen (Sundaramurthy 2020: 177). Die Strategie und Taktiken des resource capture gingen einher mit einer containment-Strategie. Hinsichtlich dieser hat sich China seit 2013 augenscheinlich bemüht, Indien bilateral in seine Wasserpolitik einzubeziehen, aber durch sein unilaterales Verhalten gezielt seine asymmetrische Position sichergestellt.

4.3 Ergebnisse der Interaktion und Intensität des Konflikts

Zeitouns und Warners (2006: 440) Konzept der Hydro-Hegemonie geht davon aus, dass die Machtdynamik zwischen Anrainern in einem Flussbecken letztendlich die Intensität eines Wasserkonflikts bestimmt. Im Fall des Brahmaputra zwischen 2013 und 2019 lässt sich grundsätzlich sagen, dass die Abwesenheit von Krieg oder das Vorhandensein einer Form der Zusammenarbeit nicht die Abwesenheit von Konflikt zwischen den Flussanrainerstaaten bedeutet hat. Wasserbezogene Spannungen gingen in erster Linie auf die einseitigen Aktivitäten zurück, mit denen China flussaufwärts seine Kontrolle ausübte.

Obwohl der Datenaustausch in einem allgemeinen grenzüberschreitenden Kontext als ein Anfang und ein Mittel zur Vertrauensbildung zwischen den Anrainerstaaten betrachtet wird, hat im speziellen Fall des Brahmaputras das Fehlen eines hoch entwickelten Datenaustauschverfahrens auf der Ebene des Einzugsgebiets das Misstrauen zwischen den Anrainerstaaten gefördert und die regionale Zusammenarbeit behindert (Liu 2015: 360).

Mit Blick auf die Wasserverteilung steht Indien vor großen Herausforderungen im Zusammenhang mit Überschwemmungen und Dürren, der Entwicklung von Infrastruktur, dem wachsenden Misstrauen und der mangelnden offenen Kommunikation seitens Chinas. Beijings Agenda für den Bau von Staudämmen hat in Indien Besorgnis über die Gefahr von Sturzfluten, Erdrutschen, Umweltverschmutzung und zukünftigen Wassermangel verschärft, von denen Millionen Menschen flussabwärts betroffen sind (Khadka 2016).

Die Spannungen um die Aktivitäten am grenzüberschreitenden Fluss werden nicht zuletzt durch die anhaltenden Grenz- und Landstreitigkeiten zwischen Indien und China verkompliziert. Ausgehend von Zeitouns und Warners Konzept, konsolidierte China seine Kontrolle über die Wasserressource somit zwischen 2013 und 2019 durch eine negative/dominante Form der Hydro-Hegemonie und eine resource-capture- und containment- Kontrollstrategie. Diese Dynamik hat einen „kalten“ Konflikt zum Ergebnis und liegt im negativen Bereich nach dem Maßstab der Water Event Intensity Scale (Yoffe et al. 2001). Indiens ausgesprochene Kritik an Chinas unilateralem Verhalten kann als eine Tendenz zur „contested control“ gewertet werden, wobei die Machtasymmetrie zwischen den Ländern eine bilaterale militärische Auseinandersetzung um die Wasserressource unwahrscheinlich erscheinen lässt.

5. Fazit

Die vorliegende Arbeit hat die Auswirkung von Machtasymmetrie zwischen China und Indien auf die Dynamik des Wasserkonflikts am Brahmaputra-Becken zwischen 2013 und 2019 untersucht. Die Untersuchung macht deutlich, wie die Kontrolle über Wasser in Abwesenheit von Krieg und in Anwesenheit von formaler Zusammenarbeit zu einem anhaltenden und sich verschärfenden Konflikt geführt hat und situativ als politische Waffe eingesetzte wurde. Die Untersuchung des Fallbeispiels brachte drei wichtige Erkenntnisse: Erstens genießt China gegenüber Indien seit 2013 einen offensichtlichen Machtvorteil in allen drei Dimensionen von Macht. Zweitens hat diese Machtasymmetrie zwischen 2013 und 2019 zu einem Verhalten der dominanten Kontrolle Chinas über das Brahmaputra-Becken geführt, die durch resource-capture- und containment-Strategien ausgeübt wurde. Zwar gibt es eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den Anrainerstaaten in Form von MoUs, doch ist diese im Wesentlichen unilateral und hängt vom politischen Kalkül Chinas als Hydro-Hegemonen ab. Die dritte Erkenntnis ist, dass das Fehlen eines soliden, institutionellen Datenaustauschs und mangelnde Transparenz chinesischer Staudamm-Aktivitäten derzeit maßgeblichen Einfluss auf die wachsende Konfliktintensität haben.

Über den Mehrwert hinaus, den diese Arbeit zur Fallstudienforschung von Hydro-Hegemonie leistet, lassen sich im Zusammenhang dieses Beitrags hegemoniale Tendenzen der aufsteigenden Volksrepublik innerhalb des internationalen Systems ableiten. Die Ergebnisse der Analyse sollen auch das Potenzial haben, einen Beitrag zur Arbeit von Analysten und Politikberatern zu leisten, da sie auf das Risiko hinweisen, dass die chinesische Hydro-Hegemonie auch zukünftig die betroffenen Regionen in Indien bedroht. Während der Analyserahmen Wege für das Verständnis internationaler Wasserpolitik eröffnet, kann er zugleich einschränkend sein, da er wesentliche Dynamiken, die zwischen nichtstaatlichen Akteuren über internationale Grenzen stattfinden, unbeleuchtet lässt.

Darüber hinaus bietet das Konzept nur eine oberflächliche Antwort auf die Frage, unter welchen Umständen sich ein Hydro-Hegemon für eine bestimmte Verhaltensform entscheidet. Es sollte untersucht werden, welche politischen Faktoren hierfür am entscheidendsten sind. In dem Zusammenhang könnten die Ergebnisse dieser Arbeit mit Chinas hydro-hegemonem Verhalten gegenüber anderen Anrainerstaaten verglichen werden. Um einer Eskalation des Konflikts vorzubeugen, sollte auch untersucht werden, unter welchen Umständen sich Beijing – trotz anhaltender Machtasymmetrie – möglicherweise für einen Richtungswechsel hin zu einer positiven Form der Hydro-Hegemonie wenden würde.

Indien steht vor der gewaltigen Herausforderung, China verstärkt in einen nachhaltigen Dialog einzubinden, um das Misstrauen zu beseitigen, was langfristig notwendig ist. Aspekte der Machtasymmetrie müssen in Zukunft von beteiligten Akteuren berücksichtigt werden, wenn diese den Konflikt, seine Wurzeln und seinen bisherigen Verlauf verstehen und deeskalieren wollen. Wenn Indien und China nicht zu einer dauerhaften Einigung gelangen, die über den derzeitigen Modus Operandi hinausgeht, könnte sich der momentan noch kalte Konflikt im Laufe der Jahre zu einem heißen Konflikt wandeln.

Literaturverzeichnis

Amano, K. (2015): Analysis of Conflict and Cooperation between China and India on the Brahmaputra River Basin Water Resources, in: Asian Studies 61(2), 55–68.

Bachrach, P. ; Baratz, M. S. (1962): Two Faces of Power, in: American Political Science Review 1962(56), 947–952.

Barua, A.; Vij, S.; Rahman, M. (2017): Powering or sharing water in the Brahmaputra River basin, in: International Journal of Water Resources Development 34 (5), 829–843.

Central Water Commission and Bureau of Hydrology and Water Resources (2014): Implementation Plan: Provision of Hydrological Information of the Yarlung Zangbu/ Brahmaputra River in Flood Season by China. Online: https://www.eoibeijing.gov.in/implementation-plan.php [05.04.2020].

Chellaney, B. (2011): The world’s most “dammed” country. Online: https://chellaney.net/2011/12/29/the-worlds-most-dammed-country/ [15.04.2020].

Chellaney, B. (2017): China is waging a water war on India. Online: https://www.hindustantimes.com/analysis/china-is-waging-a-water-war-on-india/story-6jqgabEffcatPFzJ6fQ6eJ.html [11.03.2020].

Climate Diplomacy (2018): Mutual Mistrust should Give Way to Water Cooperation between India and China. Online: https://www.climate-diplomacy.org/news/mutual-mistrust-should-give-way-water-cooperation-between-india-and-china-0 [08.04.2020].

Dave, B.; Kobayashi, Y. (2018): China’s silk road economic belt initiative in Central Asia: economic and security implications, in: Asia Europe Journal 16(3), 267–281.

Den Hague Institute for Global Justice (2017): Transboundary Water Cooperation over the Brahmaputra River. Legal Political Economy Analysis of Current and Future Potential Cooperation. Online: https://www.thehagueinstituteforglobaljustice.org/wp-content/uploads/2017/08/WADI-Brahmaputra-basin-report-final_design.pdf [20.03.2020].

Ghosal Singh, A. (2019): China’s Vision for the Belt and Road in South Asia. What progress has the BRI made in South Asia thus far? Online: https://thediplomat.com/2019/03/chinas-vision-for-the-belt-and-road-in-south-asia/ [25.02.2020].

Gosens, J. ; Kåberger, Tomas; Wang, Yufei (2017): China's next renewable energy revolution: goals and mechanisms in the 13th Five Year Plan for energy, in: Energy Science & Engineering 5(3), 141–155.

India Briefing (2019): India’s Export and Import Trends 2018-19. Online: https://www.india-briefing.com/news/indias-export-import-trends-2018-19-18958.html/ [30.04.2020].

Indian Ministry of Commerce and Industry (2020): India-China Trade Deficit. Online: https://pib.gov.in/PressReleasePage.aspx?PRID=1602431 [02.04.2020].

International Rivers (2013): South-North Water Transfer Project. Online: https://www.internationalrivers.org/campaigns/south-north-water-transfer-project [07.03.2020].

Khadka, N. (2016): India and Nepal concern over Tibet flood advice gap. Online: https://www.bbc.com/news/world-asia-37249193 [03.03.2020].

Liu, Y. (2015): Transboundary water cooperation on the Yarlung Zangbo/Brahmaputra – a legal analysis of riparian state practice, in: Water International 40(2), 354–374.

Lukes, S. (2009): Power. A radical view. New York: Palgrave Macmillan.

Merics (2020): Neue Seidenstraße. Online: https://www.merics.org/de/themen/neue-seidenstrasse [09.04.2020].

Mingjiang, L. (2012): China’s non-confrontational assertiveness in the South China Sea. Online: https://www.eastasiaforum.org/2012/06/14/china-s-non-confrontational-assertiveness-in-the-south-china-sea/ [08.03.2020].

Ministry of External Affairs India (2013): Memorandum of Understanding between the Ministry of Water Resources, the Republic of India and the Ministry of Water Resources, the People’s Republic of China on Strengthening Cooperation on Trans-border Rivers. Online: https://mea.gov.in/bilateral-documents.htm?dtl/22368/Memorandum_of_Understanding_between_the_Ministry_of_Water_Resources_the_Republic_of_India_and_the_Ministry_of_Water_Resources_the_Peoples_Republic_of_ [20.03.2020].

Ministry of External Affairs India (2017): Official Spokesperson's response to a query on participation of India in OBOR/BRI Forum. Online: https://mea.gov.in/media-briefings.htm?dtl/28463/Official+Spokespersons+response+to+a+query+on+participation+of+India+in+OBORBRI+Forum [18.03.2020].

Mirumachi, N. (2015): Transboundary Water Politics in the Developing World. Hoboken: Routledge Taylor & Francis Group.

MoFA Nepal (2017): Press Release on signing ceremony of Memorandum of Understanding (MOU) on Cooperation under the Belt and Road Initiative, 12. Mai 2017.

MoFA People´s Republic of China (2019): Yang Jiechi on the Belt and Road Initiative and Preparations for the Second Belt and Road Forum for International Cooperation, 30. März 2019.

Moore, S. (2013): Issue Brief: Water Resource Issues, Policy and Politics in China. Online: https://www.brookings.edu/research/issue-brief-water-resource-issues-policy-and-politics-in-china/ [26.02.2020].

Murton, G.; Lord, A.; Beazley, R. (2016): “A handshake across the Himalayas:” Chinese investment, hydropower development, and state formation in Nepal, in: Eurasian Geography and Economics 57(3), 403–432.

Nickum, J. (2008): The Upstream Superpower: China’s International Rivers. In: Varis, Olli; Biswas, Asit K.; Tortajada Cecilia (Hg.) Management of Transboundary Rivers and Lakes. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 227–244.

Palmo, D. (2019): Tibet’s Rivers Will Determine Asia’s Future. At the dawn of a new era of building dams on the Yarlung Tsangpo, countless lives and ecosystems are being risked in the name of “development” and geopolitics. In: The Diplomat 2019.

People's Republic of China (2002): Water Law of the People's Republic of China.

PTI (2013): China spikes India’s proposal for joint mechanism on Brahmaputra. The Hindu 2013. Online: https://www.thehindu.com/news/national/china-spikes-indias-proposal-for-joint-mechanism-on-brahmaputra/article4627285.ece [18.02.2020].

Siddique, A. (2015): China to give Brahmaputra flow data to Bangladesh. Online: https://www.thethirdpole.net/2015/09/29/china-to-give-brahmaputra-flow-data-to-bangladesh-2/ [22.04.2020].

Spross, H. (2018): Energie und Geopolitik am Himalaya. https://www.dw.com/de/energie-und-geopolitik-am-himalaya/a-46222663 [03.03.2020].

Sundaramurthy, A. (2020): The China Factor in India-Australia Maritime Cooperation. Asian Affairs 51(1), 169–188.

Tibet Policy Institute (2019): Brahmaputra River in Tibet and hydropower dams. https://thediplomat.com/2019/11/tibets-rivers-will-determine-asias-future/ [02.03.2020].

UN (1997): Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses (51/229).

Wang, Q. (2010): China pledges water will still flow. Online: http://www.chinadaily.com.cn/cndy/2010-11/19/content_11574260.htm [25.02.2020].

Weber, Max (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).

Williams, J. (2019): Emerging costs of China’s belt and road strategy for transboundary water in south and southeast Asia. International Journal of Energy and Water Resources 3(2), 81–92.

Wolf, A. (1999): Criteria for equitable allocations: the heart of international water conflict. Natural Resources Forum 23(1), 3–30.

Xinhuanet (2015): Tibets größtes Wasserkraftwerk vollständig in Betrieb genommen. http://german.xinhuanet.com/2015-10/13/c_134709619.htm [07.03.2020].

Yoffe, S.; Wolf, A.; Giordano, Mark (2001): Conflict and Cooperation over International Freshwater Resources: Indicators and Findings of the Basins at Risk, in: Journal of American Water Resources Association 39(5), 1109–1126.

Yuan, J. (2019): China's Belt and Road Initiative in South Asia and the Indian Response. Issues and Studies 55(2).

Zeitoun, M.; Mirumachi, N.; und Warner, J. (2011): Transboundary water interaction II: the influence of ‘soft’ power, in: International Environmental Agreements: Politics, Law and Economics 11(2), 159–178.

Zeitoun, M.; Warner, J. (2006): Hydro-hegemony – a framework for analysis of trans-boundary water conflicts, in: Water Policy 8(5), 435–460.

Comments
0
comment
No comments here
Why not start the discussion?