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Interview Dr. Jonas Wolff und Dr. Julia Leininger

Published onDec 05, 2023
Interview Dr. Jonas Wolff und Dr. Julia Leininger

Profil

Jonas Wolff ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Transformationsforschung, Fokus Lateinamerika, an der Goethe-Universität Frankfurt sowie Vorstandsmitglied und Leiter des Programmbereichs “Innerstaatliche Konflikte" am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Er ist zudem Direktoriumsmitglied des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) in Bogotá, Kolumbien, Ko-Koordinator der Arbeitsgruppe “Andenländer" der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF) sowie Mitglied des Forschungsnetzwerks External Democracy Promotion (EDP) und war Gastforscher am Nuffield College (University of Oxford, Großbritannien und der Universidad Andina Simón Bolívar (Quito, Ecuador). Er studierte an der Goethe-Universität Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Soziologie sowie Wirtschaftsentwicklung und Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Er habilitierte an der Universität Kassel im Fach Politikwissenschaft zu dem Thema „Die internationale Politik der Demokratieförderung: Zu Theorie und Praxis, Herausforderungen und Widersprüchen demokratischer Außen- und Entwicklungspolitik“. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Transformation politischer Ordnungen, contentious politics, internationale Demokratieförderung und die Politik Lateinamerikas.

Julia Leininger ist Leiterin des Programms „Transformation politischer (Un-)Ordnung“ am IDOS Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit. Außerdem ist sie Vorstand bei der sef-Stiftung für Entwicklung und Frieden, Mitglied im Internationaler Beirat bei International IDEA, Beirat des Hilfswerks MISEREOR und Mitglied des Herausgeberkreis der Fachzeitschrift “Development and Religion”. Sie studierte Politikwissenschaft, Völkerrecht und hispanischer Literatur/Theater an der Universität Heidelberg und Universidad Católica in Santiago de Chile. Über Stationen an der Freien Universität Berlin, der Universität Heidelberg, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), des UNDP und der Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) landete sie schließlich bei IDOS (DIE) und war dort vor ihrer heutigen Position in verschiedenen Abteilungen tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Internationaler Demokratieförderung und Demokratieschutz, Politischer Regimewandel in Entwicklungsregionen, Zukunftsszenarien, Nachhaltigkeit und Demokratie sowie Gesellschaftlichem Zusammenhalt. Außerdem ist sie Koordinatorin der Afrikabezogenen Forschung und Beratung bei IDOS.

Die Interviews wurden am 24.01.2023 und 14.02.2023 von Teresa Becher geführt.

Was ist Demokratieförderung und mit welchen Instrumenten kann Demokratieförderung außenpolitisch gefördert werden?

Jonas Wolff: Wenn wir von Demokratieförderung reden, meinen wir in diesem Kontext internationale Demokratieförderung, die sich von der Förderung von Demokratie im nationalen Kontext – zum Beispiel in Deutschland – abhebt. Mit internationaler Demokratieförderung meint man ein breites Spektrum an Maßnahmen, die das erklärte Ziel verfolgen, Demokratie in anderen Ländern zu fördern. Damit ist nicht zwingend gesagt, dass sie das auch wirklich tun. Für Forscherinnen und Forscher der Demokratieförderung ist es eine offene Frage, ob diese Maßnahmen Effekte haben oder nicht. Üblicherweise bezeichnet man Maßnahmen dann als Demokratieförderung, wenn der Akteur, der sie umsetzt, behauptet, dass er damit Demokratie fördern will.

Es gibt sehr unterschiedliche Verständnisse von Demokratieförderung. Üblicherweise meint man damit Maßnahmen, die auf die Förderung entwicklungspolitischer Aktivitäten, pro-demokratischer zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie politischer Institutionen (z.B. Wahlkommissionen, Parlamente oder Parteien) und Prozesse (z.B. Wahlen) der Demokratie abzielen. Zusammenfassend reden wir von allen Maßnahmen, die konkret operativ durch den Einsatz von finanziellen und personellen Ressourcen Demokratie in einem anderen Land fördern wollen. Grundsätzlich aber kann Demokratieförderung auch durch Mittel der Diplomatie oder durch Sanktionen bewirkt werden – zum Beispiel im Falle eines drohenden Putsches oder wenn entwicklungspolitische Unterstützung an bestimmte Bedingungen, zum Beispiel die Einhaltung demokratischer Standards, geknüpft wird. Durchaus umstritten, aber dennoch enthalten im breiteren Verständnis der Demokratieförderung, sind militärische Zwangsmaßnahmen, zum Beispiel die sogenannten „regime change wars“, in denen durch den Einsatz des Militärs autoritäre Regime gestürzt und demokratische Regierungen installiert werden sollen.

Der Zustand im jeweiligen Land bestimmt stark, welche Maßnahmen mit Demokratieförderung gemeint sind. Demokratieförderung kann in autoritären Regimen stattfinden, mit dem Ziel, diese zu unterminieren, zu stürzen, oder aber davon zu überzeugen, einen Öffnungsprozess einzuleiten. Sie kann aber auch in laufende Demokratisierungsprozesse eingreifen, um diese zu unterstützen, oder in sogenannten partiellen Demokratien betrieben werden, um sie zu stabilisieren. Demokratieförderung bewegt sich in einem breiten Spektrum.

Julia Leininger: Demokratieförderung bedeutet, Demokratisierungsprozesse zu unterstützen, zum Beispiel Verhaltensweisen von Eliten, den Aufbau zivilgesellschaftlicher Organisationen oder auch politischer Institutionen. Neu hinzugekommen ist neben der Demokratieförderung der Demokratieschutz. Damit ist der Schutz demokratischer Elemente und Akteure im Kontext weltweiter Autokratisierung gemeint. Neben der außenpolitischen gibt es eine innenpolitische Komponente; so hat Deutschland vor einigen Wochen ein nationales Demokratiefördergesetz verabschiedet, um mehr Geld in diesen Bereich zu investieren. Da die Autokratisierungstrends auch in OECD-Ländern, die klassisch Demokratieförderer sind, stattfinden, wird es auch immer mehr Programme in diesen Ländern geben. Man muss also beide Seiten der Medaille sehen, wenngleich zwischen innen- und außenpolitischer Demokratieförderung wenig Austausch stattfindet. Es scheint also selten gemeinsame Lernprozesse über Demokratieförderung im In- und Ausland zu geben.

Nach der Konjunktur von Demokratie in den letzten 50 Jahren erleben wir seit einigen Jahren eine Trendumkehr. Heute lebt etwa 70% der Menschheit in autokratischen Systemen. Die Zahl liberaler Demokratien ist auf dem gleichen Niveau wie 1989, dem Jahr des Mauerfalls.1 Wie reagiert Demokratieförderung auf diese Herausforderungen?

Julia Leininger: Da sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Einmal eine rhetorisch-diskursive Ebene, die sehr stark in den USA wie auch in der Europäischen Union zu beobachten ist. Die EU hat unter anderem mit einer neuen geostrategischen Ausrichtung ihrer Außenpolitik reagiert. Systemrivalität, ein Begriff aus dem Kalten Krieg, wird von der EU nun auf die heutige Zeit übertragen. Dabei spielt Demokratie eine große Rolle. Die EU sowie die USA wollen mehr mit anderen Demokratien zusammenarbeiten und Allianzen bilden, wie zum Beispiel durch den Democracy Summit der US-amerikanischen Biden Regierung. Auf der operativen Ebene stellen wir gleichzeitig auch fest, dass die Mittel für Demokratieförderung nicht steigen, und auch keine neuen Werkzeuge entwickelt werden. Die Anpassung findet eher ad hoc statt: Geber machen sich viele Gedanken über mögliche Reaktionen, es gibt aber noch keinen Kanon an Instrumenten, um auf die Autokratisierungsprozesse zu reagieren. Dafür müssen wir erst noch mehr lernen. Es gibt erste Auswertungen, dass herkömmliche Mittel wie Wahlbeobachtung und -unterstützung, Konditionen und Sanktionen funktionieren. Es braucht aber trotzdem neue Instrumente. Bisher zielen diese vor allem auf Akteure und Organisationen ab. Erst seit etwa 10 Jahren werden auch Einzelpersonen wie Menschenrechtsverteidiger/innen gefördert und unterstützt. Es gibt zum Beispiel sehr viel Unterstützung für soziale Bewegungen, wie wir sie im Iran sehen. Ratlosigkeit herrscht in Bereichen wie der Gewaltenteilung, weil man hier direkt mit ggfs. demokratiefeindlichen Regierungen zusammenarbeiten muss. Eine der großen Herausforderungen ist außerdem, dass Autokratisierung getrieben ist durch Politiker/innen in der Regierung, und nicht durch die Opposition. Das erschwert klassische internationale Demokratieförderung, die zumeist zwischen Staaten stattfindet.

Jonas Wolff: Das ist eine zentrale Frage für die internationale Demokratieförderung. Ich muss eingangs sagen, dass Demokratiemessung ein umstrittenes Geschäft ist und mit Zahlen in diesem Zusammenhang Vorsicht geboten ist. Welche Systeme demokratisch sind und welche nicht, ist schwer zu bewerten. Unterschiedliche Versuche der Einordnungen haben Vor– und Nachteile. Relativ unstrittig ist aber, dass die Phase, in der Demokratie international auf dem Vormarsch war, zu Ende ist. Wir befinden uns in einer Stagnationsphase, in der sich Fort- und Rückschritte die Waage halten, eher aber die Tendenz eines graduellen Rückgangs herrscht, zumindest laut den einschlägigen Demokratiemessinstrumenten. Besonders in Hinblick auf die gesamte Weltbevölkerung ist der prozentuale Rückgang ausgeprägt, da relativ große Länder wie zum Beispiel Russland betroffen sind, bis zuletzt aber auch die USA, Brasilien oder Indien. Die klare Trendwende ist wichtig, da wir aus der Forschung wissen, dass Demokratieförderung dann besonders gut funktioniert, wenn sie fördernd auf innergesellschaftliche Prozesse reagiert, die sich ohnehin in eine demokratische Richtung bewegen. Eine gewaltsame oder von außen erzwungene oder zumindest induzierte Demokratieförderung ist hingegen deutlich schwieriger, ihr Scheitern oder auch kontraproduktive Effekte höher. Diese Trendumkehr erschwert also die Kontextbedingungen von Demokratieförderung, auch wenn der Bedarf in gewissem Maße steigt. Die Frage danach, welche Maßnahmen in dieser Situation ergriffen werden sollten, ist schwierig zu beantworten.

Durch den Machtzuwachs von Autokratien ist Demokratieförderung zunehmend geopolitisch, d.h. von der Konkurrenz zwischen demokratischen und autokratischen Systemen geprägt. Autokratien unterstützen aktiv nicht-demokratische Staaten, und versuchen das demokratische System zu delegitimieren. Was bedeutet das für die Demokratieförderung?

Julia Leininger: Auch hier gibt es zwei relevante Ebenen. Zum einen die globale Ebene, in der es um die Frage geht, was das für die Stellung und Position von Demokratie in der internationalen Ordnung und dem Völkerrecht bedeutet. Zum anderen die operationale Ebene und die Bedeutung für die konkrete Umsetzung. Was die geostrategische Ebene angeht, führt fortschreitende Autokratiserung zu einer Delegitimierung in dem Sinn, dass sich Autokraten weltweit hinter Autokratien wie China und Russland stellen. Diese Länder dienen anderen als Beispiel dafür, dass autokratische Regime in bestimmten Bereichen, wie beispielsweise in der Armutsbekämpfung, effektiver als Demokratien sein können. Wir wissen allerdings, dass über eine Zeitspanne von 100 Jahren Demokratien in der Regel besser darin sind, öffentliche Güter bereitzustellen. Das Argument der „besseren Autokratien“ funktioniert also im politischen Diskurs, nicht aber empirisch. Es braucht also ein nuancierteres Bild. Der Rückhalt für Demokratie als das System, welches Menschenrechte schützt und fördert, ist im internationalen Raum sehr stark herausgefordert. Das hat auch Implikationen für internationales Recht. Vor allem im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wirkt China sehr stark auf eine Abwendung vom individuellen zum kollektiven Rechtsverständnis hin. Das hat auch seine Daseinsberechtigung, bedeutet allerdings, dass Individualrechte perspektivisch eingeschränkt werden könnten.

Auf der operationalen Eben würde ich nicht sagen, dass sich für die Art, wie Demokratieförderung betrieben wird, viel geändert hat. Was sich geändert hat, ist, dass autokratische Staaten proaktiv Autokratie fördern, zum Beispiel über soziale Medien oder Regierungsberatungen. So hat China die äthiopische Regierung, zumindest bis zum Krieg in Tigray, seit Jahren politisch beraten. Das ist ein Kontext, auf den sich Demokratieförderung einstellen muss, was bis jetzt noch wenig strategisch getan wird. Wir wissen wenig darüber, wie Demokratie- und Autokratieförderung in einem Land zusammenwirken, wie sich beispielsweise ein chinesisches Ausbildungszentrum für Kader der kommunistischen Partei in Tansania auf die Zivilgesellschaftsförderung auswirkt. Was es bräuchte, wäre eine stärkere Verlinkung und Ausrichtung von Demokratieförderung auf diesen Kontext.

Allgemein ausgedrückt gibt es auf der rhetorischen, geopolitischen Ebene eine Reaktion auf die zunehmende Systemrivalität, diese sich aber noch nicht in konkreten Ideen zur Veränderung von Demokratieförderung ausschlägt. Das gilt auch für die Bedeutung des Diskurses für internationale Kooperation. Im Grunde müssten „Do No Harm“ Prinzipien, die sich bislang vor allem auf Konflikte beziehen, auch auf internationale Kooperation und Demokratieförderung angewendet werden. Bevor man ein Programm durchführt, müsste man also analysieren, ob marginalisierte Gruppen betroffen sind oder Konflikte eskaliert werden könnten. Ich sehe bislang aber noch wenig strategische Reaktionen.

Jonas Wolff: Auch ich würde hier zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist das, was wir in dieser Richtung empirisch beobachten können, das andere sind die Interpretationen und Narrative, die auf diese Phänomene reagieren und dabei politisch relevant werden. Empirisch klar ist, dass der relativ kurze historische Moment der 1990er Jahre, in dem die westlichen Demokratien ein Modell für den Rest der Welt abgaben, ohne dass es ein konkurrenzfähiges, alternatives Modell gab, vorbei ist – ähnlich wie die absolute Dominanz des westlich-hegemonialen Machtpols. Das ist bedingt durch den Aufstieg Chinas sowie unterschiedlicher Regionalmächte, wie Russland. Insbesondere das chinesische Modell hat als Alternativmodell Strahlkraft gewonnen, zum Beispiel im Zusammenspiel mit kleineren erfolgreichen autoritären Entwicklungsstaaten wie Ruanda. So gibt es eine Debatte darüber, ob die liberale Demokratie ein universales Modell ist, auf das hingearbeitet werden sollte, oder ob es nicht Alternativen gibt. Das heißt auch, dass insbesondere die Staaten des globalen Südens weniger einseitig auf westliche Staaten ausgerichtet sind, wenn es um Handelsbeziehungen, Investitionen oder Kredite geht, und ihre Beziehungen diversifizieren, zum Beispiel zu China. So sinkt der Einfluss von Demokratieförderung durch westliche Staaten. Wir können empirisch nicht beobachten, dass Autokratien wie China explizit autokratiefördernd operieren, abgesehen von der strategischen Einflussnahme auf Wahlkämpfe mit bestimmten politischen Zielsetzungen. Es gibt nicht den Versuch, systematisch politische Systeme nach dem eigenen Vorbild in Afrika oder Lateinamerika aufzubauen. Was wir eher beobachten, ist eine Kooperation, die von diesen Fragen absieht und gerade deshalb attraktiv für bestimmte Regionen und Länder ist, da sie unabhängig von politischen Konditionen Unterstützung erhalten können und so flexibler bleiben. In der Praxis lässt allerdings auch westliche internationale Unterstützung und Kooperation einen größeren Handlungsspielraum zu, als sie durch ihren demokratischen Anspruch nach außen vermuten lässt. Die Möglichkeit westlicher Regierungen, ernsthafte politische Konditionen zu fordern, ist geringer, wenn die Zielländer mit anderen Regierungen zusammenarbeiten können, die eine größere Flexibilität ermöglichen.

Allgemein gesprochen geht es in einer multipolaren und fragmentierten Welt nicht darum, eine universale Formel zu finden, sondern sehr kontextspezifisch zu ermitteln, was man tun kann, um demokratische Prozesse zu fördern oder diese zumindest nicht zu behindern. Das hängt auch sehr davon ab, ob es in bestimmten Kontexten Sinn ergibt, mit anderen nicht-westlichen Gebern zusammenzuarbeiten oder aber ob man in Konkurrenz steht. Ein Prozess, der gerade Autokratisierungs- und Entdemokratisierungsprozesse befördert, ist politische Polarisierung. Wenn externe Akteure von außen jeweils eine Seite unterstützen, tragen sie zu dieser Polarisierung bei. Ich würde sagen, dass Demokratieförderung in diesem Kontext Vorsicht verlangt, damit nicht durch die Rivalität externer Staaten innergesellschaftliche Polarisierungsprozesse befördert werden. Gleichzeitig kann man nicht mit jedem bedingungslos zusammenarbeiten, wenn man Demokratie fördern will. Es braucht also ein sehr genaues Verständnis der politischen Ökonomie sowie der sowie der sozialen Spannungen der jeweiligen Länder. Das Ziel muss sein, möglichst breite Allianzen für eine demokratische und friedliche Konfliktaustragung zu bilden. Eine allgemeine Formel gibt es also nicht, stattdessen aber die Notwendigkeit, ständig darüber zu reflektieren, welche realistischen Möglichkeiten es für externe Akteure überhaupt gibt, von außen signifikant einen Unterschied zu machen. Oftmals ist es besser, sich die eigenen Grenzen einzugestehen und zumindest keinen Schaden anzurichten und zukünftige demokratische Entwicklungen, die aus den entsprechenden Ländern selbst kommen, nicht zu behindern.

Demokratieförderung wird vorgeworfen, primär eigene (ökonomische) Interessen zu verfolgen, lokale Gegebenheiten und Wünsche nicht ausreichend zu beachten, sowie nur oberflächliche von außen oktroyierte Veränderungen zu bewirken. Wie reagiert Demokratieförderung auf diese Kritik? Wieso kann Demokratieförderung trotzdem erfolgreich sein?

Jonas Wolff: Diese Kritik an Demokratieförderung stützt sich zwar auf empirische Beobachtungen, das Feld der Demokratieförderung ist aber von hoher Diversität gekennzeichnet. Es gibt Maßnahmen, die nur bedingt dem genuinen Ziel der Förderung von Demokratie folgen, sondern offensichtlich anderen Interessen dienen. Es gab aber auch schon immer sehr ernst gemeinte Ansätze. Die Reaktion von Regierungen auf die erwähnte Kritik ist in der Regel die Aussage, dass es keinen unbedingten Widerspruch zwischen eigenen Interessen und externer Demokratieförderung gebe. Es gibt Lern- und Anpassungsprozesse, wenn Förderer merken, dass ihre Politik in Hinblick auf Demokratieförderung oder aber andere eigene Interessen nicht erfolgreich ist. So existieren Versuche, auf Kritik einzugehen, wie eine stärkere Berücksichtigung lokale Begebenheiten und Expertisen, eine höhere Sensibilität und Offenheit für unterschiedliche Verständnisse von Demokratie und eine genauere Analyse von nicht-intendierten Folgen von Demokratieförderung. Damit ist die Kritik nicht aus der Welt. Entwicklungspolitik muss sich insbesondere auch nach innen rechtfertigen und ist in der Regel Teil einer breiteren Außenpolitik; insofern folgt sie politischen Interessen und nicht nur altruistischen Motiven. Darüber hinaus ist nie ganz klar, was die Bevölkerung in einem Land, in den Demokratieförderung betrieben wird, genau will. Demokratie kann Vieles bedeuten. So ist Demokratieförderung per se eine widersprüchliche Politik, die aus diesem Widerspruch nie herauskommen kann, wenn Demokratie die Selbstbestimmung der Bevölkerung eines Landes bedeutet. Diese von außen zu fördern, widerspricht dem Prinzip, da jede Einmischung von außen Demokratie konterkariert. Demokratieförderung kann versuchen, sich selbst so demokratisch wie möglich zu organisieren. Wenn aber die Bedingungen nicht demokratisch sind – und das sind die nie zu 100 Prozent, auch nicht hierzulande – muss man entscheiden, welche Akteure man als repräsentativ demokratisch betrachten und deshalb unterstützen möchte. Demokratieförderung lässt sich also gar nicht demokratisch betreiben, selbst wenn keine eigenen Interessen involviert wären.

Julia Leininger: Zum einen ist Demokratie in den genannten Punkten herausgefordert, weil es ein angeblich besseres System, nämlich die Autokratie gibt. Eine andere Herausforderung ist, dass die Bevölkerung eine Intervention von außen durch ehemalige Kolonialstaaten kritisiert. Eine kontextspezifische Demokratieförderung wird gefordert. Die Herausforderungen sind also präsent, aber nicht, weil Demokratieförderung aus ökonomischen Interessen gemacht wird. Demokratieförderung ist immer mit Zielkonflikten verbunden, wie auch jedes andere internationale Handlungsfeld. Dieses Spannungsfeld kann man nicht auflösen, aber man kann es managen. Damit kann man auf unterschiedliche Weise umgehen:Man kann Demokratie und Menschenrechte nachrangig behandeln, weil beispielsweise die Gasförderung wichtiger ist, oder man kann sie nach vorne setzen. Diese Entscheidung muss getroffen werden. Demokratie und Menschenrechte sind meiner Meinung nach nicht die einzigen legitimen, handlungsleitenden Entscheidungsfaktoren für internationale Politik. Wenn wir beispielsweise über Klimapolitik sprechen, also unter anderem über die Bereitstellung von globalen öffentlichen Gütern, dann ist es sehr wichtig, dass diese Werte zwar nicht hinten anstehen, aber in Form einer gemeinsamen Klimastrategie wie dem Pariser Abkommen implementiert werden. Man muss in diesem Bereich also Kompromisse machen – nicht aber wenn es um die harten Interessen geht. Es wird aber immer ein Spannungsfeld geben.

Warum kann Demokratieförderung trotzdem erfolgreich sein? Grundsätzlich gilt: Einzelne oder auch multilaterale Geber können Demokratie nicht erschaffen. Das können nur die Menschen vor Ort. Demokratieförderung leistet dazu einen Beitrag. In der Demokratieförderung gibt es, wie in vielen anderen Bereich auch, ein Mikro-Makro-Paradoxon. Insgesamt geht es darum, Demokratie als ganzes System zu fördern. Demokratieförderung zielt in der Regel aber nur auf ein Teilsystem von Demokratie ab. Die klassische Demokratieförderung ist nicht die Irak- oder Afghanistan-Intervention, sondern einzelne Programme zur Stärkung von Zivilgesellschaft, Rechenschaftslegung, Budgetsetzung, Anti-Korruption, Überwachung von öffentlichen Finanzen oder Wahlbeobachtung. Das Mikro-Makro-Paradoxon entsteht, weil man davon ausgeht, dass die Unterstützung dieser demokratischen Teilbereiche einen Beitrag zum großen Ganzen leisten. Diesen Beitrag können wir in der Evaluierungsforschung aber nur schwer darstellen. Im Kleinen funktioniert es häufig gut, zum Beispiel kann die Legitimität von Wahlen durch internationale Wahlbeobachtung verbessert werden. Die Förderung der Teilbereiche verändern das Gesamtsystem aber nicht nachweisbar, wodurch das Paradoxon entsteht. Allerdings zeigen Studien, die sich viele Länder und Demokratieförderungszahlen über einen längeren Zeitraum anschauen, durchschnittlich positive Effekte auf die demokratische Qualität. Dass es funktioniert – es funktioniert auch an vielen Stellen nicht – hängt maßgeblich damit zusammen, dass es kleinere Bereiche sind, in denen gefördert wird.

In den letzten Jahren sanken die Mittel Deutschlands für Demokratieförderung stark – vermutlich aufgrund der Corona-Krise. Sollte wieder mehr Demokratieförderung betrieben werden, und wieso? Welche Motive haben Staaten, um Demokratie extern zu fördern?

Jonas Wolff: Aktuelle Zahlen belegen, dass viele Faktoren die Entwicklung der Förderung von Demokratie in Deutschland beeinflussen. Schon vor der Corona-Pandemie gab es im Rahmen der steigenden Fluchtbewegungen seit 2015 einen hohen Anteil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, der faktisch in andere Bereiche geflossen ist, wie Unterstützungsmaßnahmen für geflüchtete Menschen in Deutschland, was gar nichts mit klassischer Entwicklungszusammenarbeit zu tun hat. Ein großer Anteil des Budgets, welches deutscher Demokratieförderung zugeordnet wird, floss nach Afghanistan, welcher mittlerweile durch den Rückgang des deutschen Engagements wieder weggefallen ist. Verständlicherweise führte die Corona-Krise dazu, dass ein starker Fokus auf die öffentliche Daseinsfürsorge, das Gesundheitssystem und die sozio-ökonomischen Folgen der Pandemie gerichtet wurde. Dazu kommt der Faktor, dass die deutsche sowie auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit zunehmend in Ländern engagiert ist, in denen offene Gewaltkonflikte herrschen. In diesem Kontext greift eher eine Logik der Stabilisierung als der aktiven Demokratieförderung, da diese auch destabilisierend wirken kann. In der deutschen Programmatik liegt zurzeit ein stärkerer Schwerpunkt auf der Förderung von Frieden, Zusammenhalt, Stabilisierung, und der Verbesserung von Ernährungssicherheit und klimapolitischem Engagement.

Alle Akteure, der Demokratieförderung betreiben, haben eine Mischung vielfältiger Motive dafür. Die Überzeugung, dass Demokratie „moralisch richtig“ und die einzig mögliche Art der Gestaltung politischer Systeme ist, in denen Menschenrechte gewährleistet werden können, spielt eine Rolle. Andere Motive umfassen die Annahmen, dass Demokratien generell friedlicher im Umgang mit anderen Demokratien sind, wirtschaftliche besser miteinander kooperieren und in internationalen Organisationen besser zusammenarbeiten. Das sind alles keine eindeutigen wissenschaftlichen Befunde, es sind aber Ideen, die das Handeln politischer Akteure beeinflussen. Damit zusammen hängen Debatten um Demokratieförderung als Friedens- und Sicherheitsstrategie. Demokratieförderung kann in bestimmten Kontexten instrumentalisiert werden – wenn zum Beispiel ein Regimewechsel in autoritär regierten Ländern angestrebt wird, um eine „unliebsame“ Regierung loszuwerden, oder wenn potenzielle Partner auf ihrem Weg der Demokratisierung unterstützt werden. Viele Motive fließen hier zusammen.

Julia Leininger: Die Frage ist, welche Zahlen man sich anschaut. Wenn man auf die OECD-DAC Zahlen schaut, sind die allgemeinen Ausgaben für Demokratieförderung relativ konstant. Wir wissen aber über Deutschland und auch über andere Geber sehr wenig in Bezug auf die Mittel, weil diese von den Ländern selbst berichtet werden. Die Länder berichten sehr unterschiedlich. Klassischerweise werden unter Demokratieförderung auch Verwaltungsprogramme gefasst, die demokratisch sein können, aber nicht müssen. Geber berichten Demokratieförderung teilweise auch nicht, weil sie die Befürchtung haben, mit zu viel Transparenz Individuen zu gefährden. Eine Entwicklung ist, dass die Priorität und Relevanz von Demokratieförderung seit den späten 2000ern in Deutschland stark abgenommen hat. Das sieht man auch daran, dass die Bundesregierung, außer dem Gesetz im Inland, keine Strategie zu Demokratieförderung hat. Deutschland sollte strategischer über Demokratieförderung nachdenken, und zwar die nach außen gerichteten Ressorts mit dem BMI zusammen. Deutschland hat die Besonderheit, dass es das Auswärtige Amt und ein Entwicklungsministerium gibt. Die meisten Länder haben ihre Entwicklungspolitik im Außenministerium angesiedelt. Ein großes Problem ist, dass es keinen strategischen Einklang und Zusammenspiel dieser Häuser gibt. Das heißt, die Demokratieförderung, die nach außen getragen wird, ist häufig uneinheitlich. Das kann von den Botschaften vor Ort abgefangen werden, indem sie mehr Kohärenz schaffen. Eine strategischere Aufstellung der Bundesregierung ist spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine notwendig. Der Großteil deutscher Demokratieförderung ist durch das Entwicklungsministerium finanziert.

Die Motive für Demokratieförderung sind vielfältig. Die Interessenpolitik wurde ja bereits angesprochen. Was häufig unterschätzt wird, ist, dass Demokratieförderung nicht isoliert von anderen Entwicklungsmaßnahmen oder der außenpolitischen Beziehungen stattfindet, sondern immer Teil eines größeren Pakets ist. Deshalb ist es auch so schwierig, die Motive alleine für Demokratieförderung zu definieren. Grundsätzlich ist es so, dass Demokratieförderung ein Mittel ist, um verlässliche Kooperation zu schaffen. Nur wenn man rechenschaftspflichtige Partner/innen in anderen Ländern hat, kann man internationale Politik mit Planungssicherheit und Erwartungsmanagement gestalten und Konflikte und Kriege vermeiden. Insofern hat der Krieg gegen die Ukraine gezeigt, dass die innere Ordnung von Staaten große Auswirkungen darauf hat, wie die internationale Ordnung gesichert und gestaltet werden kann. Gerade Deutschland als Exportnation ist darauf angewiesen.

Wir haben nun viel über die Probleme und Herausforderungen für Demokratieförderung gesprochen. Abschließend würde ich gerne von Ihnen eine Erfolgsgeschichte hören, die Sie im Laufe Ihrer Forschung bewegt hat.

Julia Leininger: Ich nehme mal ein kleines Beispiel, welches auf das Mikro-Makro-Paradoxon zurückgeht. Also Demokratieförderung funktioniert dann gut, wenn Menschen und Verantwortungsträger vor Ort sich selbst für Demokratie einsetzen und es ein gewisses Maß an Institutionen gibt, die das tragen. Ich habe zwei Beispiele, eines für Demokratieförderung und eines für Demokratieschutz. Bei dem Beispiel für Demokratieförderung haben wir eine Wirkungsmessung in Benin durchgeführt und uns angeschaut, wie Menschen auf lokaler Ebene an den öffentlichenn Budgets mitarbeiten und daran teilhaben. Das war eine Folge eines nationalen Gesetzes, das auch NGOs gefördert hat. Die Förderung auf der lokalen und nationalen Ebene hat sich so gegenseitig positiv beeinflusst und die Wirkung des nationalen Gesetzes auf der lokalen Ebene verbessert. Das hat in unterschiedlichen Bereichen zu einer besseren Politik und Bereitstellung von öffentlichen Gütern beigetragen. Im Bereich Demokratieschutz haben wir uns die Verlängerung der präsidentiellen Amtszeit von Machtträgern über legale und illegale Wege angeguckt. In jeweils einer quantitativen und qualitativen Studie haben wir verschiedene Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika analysiert, in denen dies in den letzten 20 Jahren der Fall war. Dabei haben wir herausgefunden, dass Demokratieförderung und vor allem auch Konditionalität und die Androhung von Sanktionen sehr wohl einen Unterschied machen. Somit kann sie – immer nur in Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften vor Ort – dazu beitragen, dass Präsidenten es entweder nicht schaffen, ein drittes Mandat zu bekommen, oder es gar nicht erst versuchen. Das ist ein Beispiel für Demokratieschutz, der in Zeiten der Autokratisierung immer wichtiger wird.

Jonas Wolff: Eine Episode, die man als kleinen, aber relevanten Erfolg betrachten kann, sind die Entwicklungen in Bolivien im Jahr 2008/2009. Unter dem ersten indigenen Präsidenten des Landes, Evo Morales, kam es zu einem Verfassungsreformprozess. Eine gewählte, verfassungsgebende Versammlung arbeitete eine neue Verfassung aus, erstmals unter direkter Beteiligung der indigenen und armen Mehrheitsbevölkerung. Der gesamte Prozess der Verfassungsreform war hochumstritten. Es gab Massenproteste und Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Die Regierung brauchte zur Einberufung eines Verfassungsreferendums die Zustimmung des Parlaments. In dieser Phase gab es zwei wichtige Beiträge von außen: So vermittelten regionale Organisationen wie die Union südamerikanischer Staaten (UNASUR), indem sie der demokratisch gewählten Regierung ihre grundsätzliche Unterstützung zusicherten. Aber auch klassische westliche Demokratieförderer waren in dem Land aktiv und nutzten ihre Beziehungen zu den unterschiedlichen Lagern, um innenpolitische Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen. Diese Dialogprozesse schufen eine Basis für konstruktive Auseinandersetzungen im Parlament und trugen dazu bei, eine offene Konfliktsituation zu entschärfen. So wurde ein Verfassungsreferendum möglich, dass dazu beitrug, Boliviens Demokratie inklusiver zu machen. Diese Situation zeigte das Potenzial einer Demokratieförderung, in der externe Akteure Dialoge fördern, ohne eine eigene Agenda zu verfolgen und so dazu beitragen, Akteure zusammenzubringen und Konflikte vor der Eskalation in demokratische Bahnen zu lenken.

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